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Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern

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Bei der Verhandlung in Karlsruhe zu Sicherheitsverwahrung am letzten Dienstag war viel von den Schutzpflichten des Staates die Rede. Von den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung, die die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) angeblich nicht hinreichend im Blick gehabt hätten, als sie der deutschen Praxis, gefährliche Straftäter auch nach Verbüßung ihrer Strafe einfach weiter im Knast zu behalten, vor gut einem Jahr die rechtliche Grundlage wegschlugen.

Welche Wirkung dieser Schutzpflicht-Topos auf manche Politiker hat, konnte man heute bei einer Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer studieren.

Bayerns Justizministerin Beate Merk war zu Gast und referierte darüber, wie das System der Sicherungsverwahrung jetzt reformiert wird. Dabei traf sie auf Christoph Möllers, our own Lieblingsverfassungsrechtler von der Humboldt-Uni, und auf Johan Callewaert, Vizekanzler der Großen Kammer des EGMR.

Frau Merk legte dabei in erfrischender Offenherzigkeit dar, wie sie die Konstellation der Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich wertet: Da gebe es “zwei Rechte, die in Kollision zueinander geraten” – einerseits das Recht des Täters, nicht über das Maß seiner Schuld hinaus eingesperrt zu bleiben. Und andererseits gebe es da das Recht der Bevölkerung auf Sicherheit.

Ja, und diese beiden Grundrechte müsse man dann halt gegeneinander abwägen, nicht wahr? Das kann dann halt mal so ausgehen, mal anders. Sozusagen von Verfassungs wegen.

“Das wäre das Ende”

Da geriet die CSU-Dame aber bei Christoph Möllers an den Richtigen.

Es sei mitnichten so, belehrte Möllers die oberste Rechtspolitikerin des Freistaats Bayern, dass hier zwei Grundrechte miteinander kollidieren. “Das wäre das Ende.” Die Pflicht des Staates aus Art. 2 II 1 GG, das Leben seiner Bürger zu schützen, sei keineswegs etwas, das mit dem Recht des Bürgers aus Art. 2 I GG, frei sein zu dürfen, auf gleicher Ebene kollidiert. “Das Grundgesetz kennt keine Sicherheit, sondern nur Freiheit und Unfreiheit.”

Es war schön zu sehen, wie die Ministerin die Gesichtszüge entglitten.

Das, sagte sie, nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, sei ja doch wohl – hoffentlich – eine wissenschaftliche Mindermeinung.

Nö, sagte Christoph Möllers. Das sei eigentlich ziemlich unumstritten.

Teuflische Idee

Die Idee, dass ein Freiheitsgrundrecht eine Pflicht des Staates begründet, diese Freiheit aktiv zu schützen, stammt aus dem 1. Abtreibungsurteil des BVerfG von 1975: Den Pfad, den das Gericht damit betreten hat, kann man mit guten Gründen problematisch finden. Von dem Argument, der Staat sei von Verfassungs wegen verpflichtet, zum Schutz des Ungeborenen die Selbstbestimmungsrecht der Mutter einzuschränken, ist es nicht mehr so wahnsinnig weit zu der Forderung, zum Schutz von potenziellen Terroropfern das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Terrorverdächtigen einzuschränken.

Eine solche objektive Schutzpflicht ist das eine. Aber was die bayerische Justizministerin tut, ist noch mal von ganz anderer Qualität. Ein Grundrecht auf Sicherheit, wie sie es postuliert, ist eine wirklich teuflische Idee, um so mehr, als sie auf den ersten Blick so einleuchtend und auf der Hand liegend erscheint, dass Frau Merk es gar nicht fassen kann, dass da irgendwer was dagegen haben kann.

Ein Bonner Staatsrechtler, der mephistophelische Josef Isensee, hat sich das Anfang der 80er Jahre mal ausgedacht, dass die Verfassung jedem Bürger grundrechtlich garantiert, dass er vor den Übeltaten seiner Mitbürger durch staatliche Intervention geschützt werden muss (insofern hat Christoph mit der Behauptung, das sei völlig unbestritten, das es so etwas nicht gibt, ein bisschen übertrieben).

Ein solches Grundrecht auf Sicherheit wäre in der Tat “das Ende”. Damit wären die Freiheitsgrundrechte der Bürger vollkommen dem Ermessen des Staates ausgeliefert. Aus Abwehrrechten gegen den Staaten wären unversehens Ermächtigungen an den Staat geworden, gütig und weise die miteinander kollidierenden Grundrechte seiner wechselseitig füreinander furchtbar gefährlichen Bürger miteinander in Ausgleich zu bringen.

Den Staat auf Abstand halten

In einem solchen Staat will vielleicht Herr Isensee leben, aber ich nicht.

Natürlich ist der Staat verpflichtet, alles ihm Erlaubte zu tun, dass ich und meine Kinder nicht zum Opfer von Mördern und Vergewaltigern werden.

Aber eben nur das Erlaubte. Und das Maß des Erlaubten darf er nicht dadurch ausweiten, dass er mich und meine Kinder heranschleift und einfach behauptet, wir zwängen ihn durch unser Grundrecht auf Sicherheit dazu.

Grundrechte sind zuerst und zuvörderst dazu da, den Staat auf Abstand zu halten. Um den Mörder auf Abstand zu halten, gibt es das Strafrecht und das Polizeirecht und das Strafvollzugsrecht, lauter mächtige und wirkungsvolle rechtliche Instrumente. Aber nicht meine Grundrechte.

Die brauche ich nämlich noch an anderer Stelle, gegen Frau Merk zum Beispiel.

Soviel zum Unterschied zwischen Schutzpflicht und Recht auf Sicherheit. Ich bin sehr gespannt, wie der Zweite Senat das hinbekommen wird, da keine Unklarheit aufkommen zu lassen.

Ich kann nur hoffen, dass er sich Mühe gibt dabei.

Update: Ausgezeichnete Darstellung der verfassungs- und menschenrechtlichen Konstellation übrigens bei Oliver García.

Foto: low-key images, Flickr Creative Commons

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